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Warum ich Plaintext mag

Plaintext klingt oft sehr danach zu simpel für viele Anwendungen zu sein. Warum das nicht der Fall sein muss möchte ich gerne mal erklären

Ich sass sehr gespannt vor meinem Homebanking Programm. Es war das einzige, mit dem ich unter Linux direkt mit meiner Bank kommunizieren konnte. Leider waren die Möglichkeiten der Auswertung sehr begrenzt, aber das ist ja kein Problem. Linux stellt eine Menge Software zur Verfügung um aus tristen Zahlen schöne Grafiken zu machen. Allerdings speicherte die Banking Software ihre Daten nur in einem antiken und scheinbar auch verschlüsselten Datenbanksystem.

Also hatte ich nochmal gutes Geld für die PRO Version gezahlt weil die laut Hersteller in der Lage sein sollte Daten im XLM Austauschformat ex- und importieren zu können. Da XML in der Regel einfach zu lesen ist, fand ich das eine gute Idee, um meine eigenen Grafikausgaben mit den Daten zu füttern.

Der ein oder andere wird schon bemerkt haben, was ich damals auch für einen Schreibfehler gehalten habe. Da stand XLM und nicht XML, und genau so meinte der Hersteller das auch. XLM war ein Format, das komplett kryptisch war, nicht dokumentiert, und ausser von diesem Hersteller vermutlich von niemandem gelesen oder geschrieben werden konnte. Für mich war das für nichts anderes gut, um als Ausrede für die oft geäusserten Beschwerden gegen fehlende Schnittstellen nach aussen zu dienen.

Sowas macht mich halsig

Wenn ich mich schon aus Not an einen Hersteller binde, dann will ich nicht auch noch so über den Tisch gezogen werden. Zu meiner Erleichterung hatte damals das aqbanking Projekt seine Software so weit entwickelt, dass es möglich wurde auch mit meiner Bank zu kommunizieren. Und das beste war, es legte seine Daten einfach im Klartext auf meine Festplatte. Die konnte ich dann mit anderen Programmen lesen, verarbeiten, grafisch darstellen, und all die Dinge machen, die niemand zusammen in ein einziges Programm packen würde.

Queryologie

Und hier kommt auch schon der Große Vorteil davon, alle meine Daten in Plaintext zu haben. Ich weiss selbst heute noch nicht, was ich eines Tages alles mit diesen Daten anfangen möchte. Oder wie Michael Seemann es formuliert: Welche Query ich später mal auf diese Daten anwende.

"Nicht mehr der Sender soll definieren, was der Empfänger für Signal und was er für Rauschen zu halten habe, sondern der Empfänger soll dies in Zukunft selbst entscheiden, ohne den Sender überhaupt zu fragen."

Michael Seeman: Das Neue Spiel, Kap2, Die Emanzipation der Query

Im konkreten Beispiel kann weder die Bank, noch mein Softwarehersteller wissen, dass ich mein Girokonte in meinem privaten Kassenbuch noch in eine handvoll virtueller Briefumschläge aufteile, in die ich jeweils am Anfang des Monats ein bisschen Geld stecke um damit z.B. in jedem Halbjahr die Autoversicherung zu bezahlen.

Jetzt wo ich einfach meine Umsätze und den Kontostand als Plaintext-Datei bekomme kann ich das leicht in meiner Buchfühung abbilden und auch grafisch anzeigen lassen.

Vendor Lock-In

Und so geht es mir an vielen Stellen, wenn ich mit Software arbeite. Sei es die Fotoverwaltung, in der ich zwar alle Bilder wunderbar mit Personennamen, Orten und Ereignissen markieren kann, oder die Ahnenforschung, bei der ich meine 200 Vorfahren mühelos mit anderen Ahnenforschern am gleichen Stammbaum abgleichen kann, aber sie nicht an meine Tochter weitergeben, wenn ich keine Lust habe bis zu meinem Lebensende horrende Mitgliedsbeitrage für die Aufbewahrung zu zahlen.

Mein aktuellstes Beispiel ist meine Buchsammlung von knapp 100 eBooks, die ich im Laufe der Jahre bei Amazon erstanden (es geht um hunderte Euro) habe, und die ich seit einer Kündigung meines Benutzerkontos planmässig nicht mehr lesen kann. Immer geht es um den Effekt der Herstellerbindung.

Darunter versteht man etwa folgendes

"Unter Lock-in-Effekt (englisch lock in, „einschließen“ oder „einsperren“) versteht man generell in den Wirtschaftswissenschaften und speziell im Marketing die enge Kundenbindung an Produkte/Dienstleistungen oder einen Anbieter, die es dem Kunden wegen entstehender Wechselkosten und sonstiger Wechselbarrieren erschwert, das Produkt oder den Anbieter zu wechseln."

Wikipedia: Lock-In-Effekt

Ausbruch

Plaintext erlaubt es mir aus diesem, und noch einigen anderen Gefängnissen auszubrechen. Ich werde dadurch unabhängig, dass ich mich von Datenformaten löse, die nur von Maschinen, und im schlimmsten Falle nur von den Maschinen oder Programmen einzelner Hersteller, gelesen werden können. Ich werde unabhängig davon dass

  • Hersteller die Funktionen anbieten die ich möchte
  • Hersteller in 10 Jahren noch existieren
  • Hersteller in 50 Jahren noch ihre Server betreiben
  • Hersteller ihre eigenen Datenformate weiterhin unterstützen
  • Software auch mit den Produkten der Konkurrenz zusammenarbeiten möchte
    • Auch wenn diese Konkurrenzfirma erst in 3 jahren gegründet wird
  • Es überhaupt noch Software zur Verarbeitung gibt. Zur Not kann ich all diese Daten auch einfach ausdrucken und mit dem blossen Auge lesen.

In der Praxis kann dank Plaintext mein Kochrezept-Programm seine Daten einfach gut lesbar auf der Festplatte ablegen, und ich kann mir ein kleines Programm schreiben, dass mir ein Rezept auswahlt und die Zutaten dafür als Einkaufszettel in meine ToDo-Liste schiebt, und an mein Handy schickt.

Vermutlich ist das auch der Grund warum Linux so gut zu mir und meinem Arbeitsstil passt. Statt mir ein komplette Arbeitsweise vorgeben zu wollen, bietet es mir viele kleine Programme die kleine Aufgaben lösen, und alle mit den selben Daten arbeiten können, und dadurch in Summe ein sehr mächtiges Team darstellen. Und dieses Team habe ich lieber an meiner Seite, als die Firma, die mir mit Absicht einen Druckfehler unterjubelt um mir das Geld aus der Tasche zu ziehen.

2020-02-14